Was tun, wenn Jugendliche die Beschneidung ablehnen? Wege zwischen Respekt und Aufklärung
1. Wenn aus Mitgehen Widerstand wird: Ein sensibles Thema
Die Entscheidung zur Beschneidung ist in vielen Familien eine Tradition – sei es aus religiöser Überzeugung, hygienischen Gründen oder kultureller Verbundenheit. Doch was geschieht, wenn ein Jugendlicher plötzlich widerspricht? Wenn er den Wunsch der Eltern infrage stellt und den Eingriff ablehnt?
Die Antwort ist selten einfach – aber sie beginnt mit Zuhören. Denn wenn Jugendliche die Beschneidung ablehnen, geht es nicht nur um den körperlichen Aspekt, sondern um Selbstbestimmung, Identität und Vertrauen. Für viele Eltern ist das schmerzhaft. Für Jugendliche aber ist es ein wichtiger Entwicklungsschritt. Ziel dieses Blogs ist es, Wege aufzuzeigen, wie mit dieser Situation respektvoll, sensibel und lösungsorientiert umgegangen werden kann.
2. Ablehnung als Ausdruck von Selbstständigkeit – nicht als Rebellion
Jugendliche sind keine Kinder mehr – aber auch noch nicht vollständig erwachsen. In dieser Übergangsphase setzen sie sich intensiv mit ihrer eigenen Identität auseinander: Wer bin ich? Was gehört zu mir? Was darf ich entscheiden?
Wenn Jugendliche die Beschneidung ablehnen, bedeutet das häufig nicht, dass sie den Glauben oder die Eltern infrage stellen. Vielmehr geht es darum, selbst Teil der Entscheidung zu werden. Die Ablehnung kann also ein gesunder Ausdruck von Autonomie und kritischem Denken sein – und verdient daher ernsthafte Beachtung.
Viele Jugendliche erleben in dieser Phase erstmals bewusst, dass ihr Körper nicht einfach „verfügbar“ ist. Gerade bei einem Eingriff im Intimbereich entsteht das Bedürfnis, selbst entscheiden zu dürfen, ob, wann und unter welchen Bedingungen dieser Schritt erfolgen soll.
3. Gesprächsführung mit Fingerspitzengefühl: So entsteht Vertrauen
Wenn ein Kind oder Jugendlicher „Nein“ sagt – insbesondere bei sensiblen Themen wie der Beschneidung –, sind viele Eltern im ersten Moment verunsichert. Die Vorstellung, dass das eigene Kind sich gegen eine tief verwurzelte familiäre oder religiöse Praxis stellt, kann Gefühle wie Enttäuschung, Hilflosigkeit oder Sorge auslösen. Doch genau hier beginnt echte, moderne Elternschaft: mit der Fähigkeit, die eigenen Erwartungen zurückzustellen und Raum für individuelle Entwicklung zu schaffen.
Gerade wenn Jugendliche die Beschneidung ablehnen oder kritisch hinterfragen, ist die Art des Gesprächs entscheidend. Es geht nicht darum, zu überzeugen oder gar Druck auszuüben, sondern um echtes Zuhören und respektvolles Verstehen. Eltern sollten nicht davon ausgehen, dass Widerstand Ablehnung bedeutet – sondern eher Interesse, Unsicherheit oder der Wunsch nach Mitsprache.
Hilfreiche Gesprächsansätze können sein:
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„Was macht dir Angst an der Beschneidung?“
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„Was genau stört dich daran?“
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„Welche Fragen oder Informationen fehlen dir noch?“
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„Was würdest du dir von uns wünschen?“
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„Gibt es etwas, das dir helfen würde, das Thema besser zu verstehen?“
Diese Fragen zeigen: Ich nehme dich ernst. Ich will verstehen. Ich höre dir zu.
Wenn Jugendliche die Beschneidung nicht pauschal verweigern, sondern sich differenziert mit dem Thema auseinandersetzen dürfen, entsteht Raum für Entwicklung. Studien, etwa von der BZgA, belegen, dass Jugendliche, die in medizinische oder rituelle Entscheidungen einbezogen werden, später seltener in offene Konflikte geraten. Sie entwickeln vielmehr eine vertrauensvolle Bindung zu ihren Eltern und erleben deren Begleitung als partnerschaftlich, nicht autoritär.
Daher ist es hilfreich, das Gespräch als offenen Dialog zu führen – ohne feste Zielvorgabe, aber mit der Haltung: „Wir gehen diesen Weg gemeinsam – in deinem Tempo, mit deinen Fragen und deiner Stimme.“ Gerade bei Themen wie Jugendliche die Beschneidung braucht es kein sofortiges Ja, sondern die Möglichkeit, sich bewusst und selbstbestimmt zu positionieren. So entsteht nicht nur Vertrauen – sondern echte Reife.
4. Religion, Kultur und moderne Werte – ein Balanceakt
In vielen Kulturen ist die Beschneidung ein festes Ritual – Teil des Erwachsenwerdens, ein sichtbares Zeichen der Zugehörigkeit. Wenn Jugendliche dies ablehnen, erleben Eltern oft eine doppelte Spannung: zwischen äußerem sozialen Druck und innerem familiären Wunsch.
Hier hilft ein Perspektivwechsel: Religion ist kein Zwang, sondern eine Einladung. Und Rituale entfalten ihre Bedeutung nur dann voll, wenn sie bewusst und aus freiem Willen geschehen. Wenn Jugendliche die Beschneidung ablehnen, bedeutet das nicht, dass sie den Glauben verlassen – sondern dass sie Zeit brauchen, um den richtigen Moment für sich zu finden.
Eltern können unterstützen, ohne zu drängen: etwa durch Gespräche mit Vertrauenspersonen (z. B. einem Imam, einem Arzt oder einem älteren Vorbild), durch Literatur, durch den Verweis auf eigene Erfahrungen. Auch ein gemeinsames Lesen unseres Beitrags zur Beschneidung bei Jugendlichen kann Brücken bauen.
5. Tabelle: Umgang mit Ablehnung – Handlungsempfehlungen für Eltern
Situation | Empathische Reaktion | Ziel |
---|---|---|
Jugendlicher lehnt spontan ab | „Ich verstehe, dass dich das beschäftigt.“ | Vertrauen stärken, Gesprächsbereitschaft signalisieren |
Ablehnung mit Vorwürfen („Ihr zwingt mich!“) | „Es geht nicht darum, dich zu zwingen, sondern dich zu begleiten.“ | Konflikt entschärfen, Verantwortung klären |
Ablehnung aus Unwissenheit oder falschen Vorstellungen | „Lass uns gemeinsam anschauen, wie der Eingriff genau abläuft.“ | Wissen vermitteln, Ängste abbauen |
Jugendlicher bittet um Aufschub | „Es ist in Ordnung, wenn du noch Zeit brauchst.“ | Selbstbestimmung fördern, Druck herausnehmen |
Diese Haltung zeigt: Wenn Jugendliche die Beschneidung ablehnen, entsteht ein Moment echter Erziehung – nicht über den Körper, sondern über das Gespräch.
6. Rolle der medizinischen Praxis: Aufklärung statt Überredung
CircumVision versteht sich nicht als klassische Einrichtung, die standardisierte Abläufe durchführt – sondern als Praxis der Mitgestaltung, in der sowohl Eltern als auch Jugendliche ernst genommen und einbezogen werden. In unserer täglichen Arbeit begegnen wir immer wieder Jugendlichen, die sich mit gemischten Gefühlen an uns wenden: Einige sind neugierig, andere verunsichert, manche sogar ängstlich. Doch genau in dieser Vielfalt liegt die Verantwortung der medizinischen Begleitung.
Wenn Jugendliche die Beschneidung infrage stellen oder ablehnen, begegnen wir dieser Haltung nicht mit Überredung, sondern mit respektvoller, altersgerechter Aufklärung. Das bedeutet: Wir erklären transparent, was bei einer Zirkumzision medizinisch passiert, wie der Heilungsverlauf aussieht, und welche Optionen es gibt – auch die Option, sich (noch) nicht für den Eingriff zu entscheiden.
Wir respektieren jede individuelle Entscheidung – unabhängig vom kulturellen oder familiären Hintergrund – und zeigen Wege auf, wie ein möglicher Eingriff mit Würde, Klarheit und im eigenen Tempo gestaltet werden kann. Wenn Jugendliche die Beschneidung ablehnen, sprechen wir deshalb nicht ausschließlich mit den Eltern, sondern gezielt auch mit dem Jugendlichen selbst – auf Augenhöhe, vertraulich und frei von Druck.
Unsere ärztlichen Gespräche basieren auf den ethischen Richtlinien der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) sowie auf modernen Konzepten interkultureller Gesundheitskommunikation. Dabei achten wir besonders auf sensibel formulierte Sprache, Raum für Fragen und das Recht auf Nichtwissen – denn echte Entscheidungskompetenz entsteht nicht durch Überzeugung, sondern durch Vertrauen.
7. Fazit: Wenn Nein sagen erlaubt ist – und Vertrauen stärkt
Die bewusste Ablehnung eines Eingriffs im Jugendalter – insbesondere eines so körperlich und kulturell sensiblen wie der Beschneidung – ist kein Zeichen von Auflehnung oder Ablehnung der Familie. Sie ist ein Ausdruck wachsender Reife, persönlicher Autonomie und reflektierten Denkens. Jugendliche die Beschneidung nicht sofort akzeptieren, zeigen damit Verantwortung für ihren eigenen Körper – und verdienen dafür nicht Ablehnung, sondern Anerkennung.
Für Eltern kann dieser Moment eine Herausforderung sein. Doch er bietet gleichzeitig eine wertvolle Chance: den Übergang von elterlicher Kontrolle hin zu partnerschaftlicher Begleitung. Wer in dieser Phase nicht auf Druck, sondern auf Dialog setzt, öffnet langfristig Wege, auf denen gemeinsame Werte trotz unterschiedlicher Perspektiven gelebt werden können.
CircumVision begleitet Familien genau in solchen Situationen. Mit medizinischer Erfahrung, psychologischem Feingefühl und echtem interkulturellem Verständnis schaffen wir einen sicheren Rahmen, in dem Jugendliche sich verstanden fühlen – und Eltern sich begleitet wissen. Denn das Recht, über den eigenen Körper zu entscheiden, gehört zu den zentralen Erfahrungen des Erwachsenwerdens. Besonders dann, wenn es um Jugendliche die Beschneidung betrifft, braucht es ein Umfeld aus Aufklärung, Vertrauen und Respekt – genau dafür stehen wir.